Koog

Auch: ›Polder‹ in den Niederlanden, ›Groden‹ oder ›Heller‹ in Ostfriesland

Koog | Hauke-Haien-KoogEntlang der schleswig-holsteinischen Nordseeküste zieht sich in einem flachen, an manchen Stellen bis zu fünfzehn Kilometer breiten Streifen eine der drei vorherrschenden großen Landschaftszonen – das nacheiszeitlich entstandene Marschland. Es besteht aus dem Schwemmland des Meeres, entstanden aus den Ablagerungsprozessen der Gezeiten einiger tausend Jahre, und liegt zwischen Wattenmeer und Geest. Wenn nun flaches Marschland durch Entwässerung dem Meer abgewonnen und zum Schutz eingedeicht wird, sprechen wir von einem ›Koog‹ in Schleswig-Holstein, einem ›Groden‹ beziehungsweise Heller in Niedersachsen oder einem ›Polder‹ in den Niederlanden. Die ersten Köge entstanden vor etwa eintausend Jahren auf der Halbinsel Eiderstedt, die ursprünglich aus den drei zum Uthlande gehörenden Harden Eiderstedt, Everschop und Utholm entstanden ist. Um den ständigen Überschwemmungen und heftigeren Sturmfluten durch den zunehmenden Anstieg des Meeresspiegels begegnen zu können, wurde der Deichbau im 11. Jahrhundert zunächst genossenschaftlich organisiert und mit Blick auf die Neulandgewinnung ab dem 16. Jahrhundert durch die ›Landesherrschaft‹, die Eigentümer des Vorlandes waren, vorangetrieben. Immerhin bedeuteten zusätzliche Landmassen weitere landwirtschaftliche Flächen, die durch deren Verwertbarkeit weitere Einnahmenquellen erschlossen. Der Heimatforscher Rudolf Muuß notiert im Hinblick auf die forcierten Anstrengungen nach der Großen Flut vom 11. Oktober 1634:

»Die grünen Deiche, mit Recht ›Goldene Ringe‹ genannt, wurden immer wieder erhöht, verbessert, ihr Profil durchdacht, ihr Vorland bearbeitet und gesichert. Die ›Uthlande‹, d. h. die Außenlande, haben den zweiten Namen ›Spadelande‹, Spatenlande, und das Spadelandrecht ist unverlierbar in der Geschichte der nordfriesischen Marschen.« (Pastor Dr. Rudolf Muuß, a.a.O., Seite 150).

Die verheerende Sturmflut von 1634 hat viele der bis dahin etwa 100 entstandenen Köge wieder vernichtet. Aktuell gibt es an der schleswig-holsteinischen Westküste um die 230 Köge. Zu den bekanntesten Kögen in Nordfriesland gehören bespielsweise der Hauke-Haien-Koog, Neuer Christian-Albrechts-Koog, Gotteskoog, Marienkoog, Herrenkoog oder der Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog.

Wie entsteht ein Koog?

Koog | Die nordfriesischen Uthlande (Außenlande) - mit Rungholt - vor der Sturmflut 1362 (1. Große Mandränke)Für die Landgewinnung muss das Wasser der Nordsee zunächst ›beruhigt‹ werden. Dafür sorgt ein System von Buhnen und Lahnungen, die bei Ebbe das Abfließen von Schwebteilchen verzögern. Diese können sich allmählich als Schlick zwischen den Buhnen und Lahnungen auf dem Meeresboden absetzen. Der Meeresboden kann sich auf diese Weise allmählich erhöhen, so dass sich Queller und Strandhafer, die sogenannten Pionierpflanzen, ansiedeln können.

Hat der Meeresboden schließlich die Fluthöhe erreicht, werden Gräben mit Schlick ausgehoben, der auf dem Boden verteilt wird, um eine weitere Erhöhung des Meeresbodens zu erreichen. Auf diese Weise lassen sich die Landflächen vor den Deichen vergrößern. Gleichzeitig schützen die zusätzlich gewonnenen Flächen, auch als Vorland bezeichnet, die Deiche. In den ausgehobenen Gräben können sich neue Sedimente ablagern.

Wenn das Vorland genügend Fläche aufweist, wird es zum Schutz vor Sturmfluten eingedeicht, um dauerhaft genutzt werden zu können.

Das neu eingedeichte Land wird als Koog‹ (Mehrzahl = ›Köge‹) bezeichnet und ist der an der Westküste Schleswig-Holsteins gebäuchliche Begriff. Im Oldenburger Raum, Niedersachsen, verwendet man dagegen eher den Begriff ›Groden‹ oder auch ›Heller‹, in den Niederlanden sowie in den angrenzenden Teilen Ostfrieslands spricht man üblicherweise von einem ›Polder‹.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturverzeichnis

Abbildungen

  • Abbildung oben: © Fotografie | Dieter Johannsen – Titel: Der Hauke-Haien-Koog wird durch die Ortschaften Schlüttsiel, Fahretoft und Ockholm begrenzt.
  • Abbildung unten: Urheber: Runga, CC0, via Wikimedia Commons
    Titel: Die nordfriesischen Uthlande (Außenlande) – mit Rungholt – vor der Sturmflut 1362 (Erste Große Mandränke)
    URL: Die Uthlande vor der Ersten Großen Mandränke

Hauke Haien Koog

Rast- und Schutzraum für eine Vielzahl von Vogelarten des Wattenmeeres ist der ›Hauke Haien Koog‹

Koog | Hauke-Haien-KoogDer ›Hauke Haien Koog‹ wurde nach dem von Theodor Storm erschaffenen Protagonisten der 1888 fertiggestellten Novelle ›Der Schimmelreiter‹ benannt.

In einem Beitrag der shz vom 10. Oktober 2012 wird berichtet, dass die Heimatforscher Ekkehard Schmidt und seine Frau, Gudrun Schmidt-Endriß, nach neunjähriger Recherchearbeit herausfinden konnten, wen Theodor Storm für die Figur des Deichgrafen Hauke Haien zum Vorbild genommen hat. Hauke Haien ist demnach »Hans Iwersen Schmidt (1774 bis 1824) gewesen, der auf Lundenberg in der Hattstedtermarsch […] gelebt hatte« .

Der Koog entstand durch Eindeichung einer kleinen Bucht der Nordsee in den Jahren von 1958 bis 1960. Das dabei gewonnene Land wurde erstmals nicht mehr ausschließlich für die landwirtschaftliche Nutzung und Besiedelung genutzt. Für viele Wat- und Wasservögel – zum Beispiel Seeschwalben, Sandregenpfeifer, Rohrdommel, Säbelschnäbler und seltene Bartmeisen – dient er als Brutgebiet. Ein Teil des Koogs wurde als Speicherbecken mit Schilf- und Grünlandflächen konzipiert. Der Hauke-Haien-Koog ist 1200 Hektar groß, davon werden weniger als die Hälfte des Kooges, nämlich 500 Hektar als Ackerland genutzt. Die restlichen 700 Hektar teilen sich auf in das Nord- und Südbecken, das während des ganzen Jahres als Rastgebiet für unzählige Gänse, Enten und Strandläufer gilt.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturverzeichnis

Gotteskoogsee

Der ›Gotteskoogsee‹ gehört zum Naturschutzraumes Gotteskoog

GotteskoogseeDer Gotteskoogsee ist Teil des Naturschutzraumes Gotteskoog. Es war der 13. August 1982, als der Gotteskoogsee im Rahmen umfangreicher Renaturierungsmaßnahmen ›wiedereröffnet‹ wird. Die ›Zeit‹ charakterisiert in einem Beitrag vom 5. November 1982 die ›Wiedereröffnung‹ eines einst mit enormen Summen aus öffentlichen Mitteln entwässerten Sees als ›Die Auferstehung eines Sees – Der Deichgraf holt Wasser ins Land‹.

Im Jahre 1566, nach dreihundert Jahren sich hinziehender Anstrengungen und einer wechselvollen Geschichte mit leidvollen Erfahrungen und Rückschlägen, gelang es den Deichbauern schließlich, den Gotteskoog in seiner heutigen Gestalt einzudeichen. Man schuf mit dieser Eindeichung zugleich den größten Koog in der Geschichte Nordfrieslands. Bis dahin war der Gotteskoog eine von Prielen durchzogene Insel- und Halligwelt mit zahlreichen Warften, die den Urgewalten der Nordsee ausgeliefert war. Den Gotteskoogsee gab es als solchen noch nicht.

Nachdem es gelungen war, den Gotteskoog einzudeichen, begann nun der Kampf der Anwohner gegen das Süßwasser, das sich im Koog durch das ablaufende Wasser der Geest wie in einem Sammelbecken zusammenzog. Die ersten Trockenlegungsmaßnahmen wurden ab 1622 durch die holländischen Deichbaumeister Rollwagen und de Moll eingeleitet. Es entstand ein System von Sielzügen mit einem sogenannten ›Rollwagenzug‹, der als Hauptsielzug zum Einsatz kam und für die Entwässerung des Kooges sorgen sollte.

Bis in das 20. Jahrhundert hinein dauerte es schließlich, bis eine nennenswert große Fläche trockengelegt werden konnte – allerdings mit katastrophalen Folgen: Es kam zu einer folgenschweren Verkleinerung der offenen Wasserflächen; ganze Seen verschwanden. Hatte beispielsweise der Gotteskoogsee 1926 etwa noch 500 ha offene Wasserflächen, so waren es 1983 nur noch 25,8 ha. Durch die fortschreitende Verlandung und intensive landwirtschaftliche Nutzung wurden seltene Tier- und Pflanzenarten verdrängt, bis an jenem 13. August 1982 die Umkehr, die Renaturierung eingeleitet wurde.

Das etwa 275 ha große Süsswasserbiotop ›Gotteskoogsee‹ in seiner heutigen Gestalt ist Teil der Seenlandschaft des etwa 10400 ha großen Gotteskooges. Innerhalb der nordfriesischen Marsch ist der Gotteskoog mit dieser Fläche somit der größte Koog. Wenige 100 m entfernt, in westlicher Richtung, liegt der Bundesgaarder See. Mit dem Gottesgoogsee bildete er in früheren Jahren eine gemeinsame Wasserfläche. Wer die notwendige Geduld des Verweilens aufbringt, kann inzwischen wieder den Ruf der Großen Rohrdommel über dem See bzw. im Gotteskoog hören oder den größten Greifvogel der nordfriesischen Landschaft am Himmel sehen.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturverzeichnis

Abbildung:

  • © Fotografie | Dieter Johannsen – Titel: Sielzug im Naturschutzraum Gotteskoog

Literaturverzeichnis

›Nordsee von A-Z‹

  • Auge, Oliver: Die nordfriesischen Uthlande und König Waldemar II. der Sieger (Sejr) von Dänemark, in: Newig, Jürgen und Haupenthal (Hrsg.), Rungholt. Rätselhaft & widersprüchlich, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft mbH u. Co.KG, Husum 2016
  • Borzikowsky, Holger: Zum 400. Geburtstag des Kartographen Johannes Mejer, in: Beiträge zur Husumer Stadtgeschichte, Heft 10, 2006
  • Breckwoldt, John: Die hydrographischen Veränderungen in Schleswig-Holstein. Schriften des Naturwissenschaftlichen Vereins in Schleswig-Holstein 16: 44–164
  • Brockhaus, Friedrich Arnold: Der Neue Brockhaus, Lexikon und Wörterbuch in fünf Bänden und einem Atlas, sechste, völlig neubearbeitete Auflage, Zweiter Band, F. A. Brockhaus, Wiesbaden 1979
  • Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH): Die Gezeiten – Entstehung und Phänomene. Abrufbar unter
    https://www.bsh.de/DE/THEMEN/Wasserstand_und_Gezeiten/Gezeiten/Gezeiten_node.html [Stand: 27.05.2019]
  • Christiansen, M. / Hansen, J.P. / Hartwigsen, P.L. / Petersen-Andresen, W. / Reverchon, P. / Stapelfeldt, A. (Redaktion): Der Gotteskoogsee (Faltblatt)
  • Egidius, Hans: Sturmfluten. Tod und Verderben an der Nordseeküste von Flandern bis Jüdland, ccv concept center verlag gmbh, Varel 2003
  • Gottburgsen, Malene / Hrsg. von Hassenpflug, Wolfgang: Der Gotteskoog. Landschaft und Bewohner im Wandel der Jahrhunderte, Verlag Karl Heinrich, Bad Honnef 1991
  • Grote, Ulrike: Allmenden: Geschichte oder Zukunft, S. 37 – 50, in: Berichte der Reinhold-Tüxen-Gesellschaft, Bd. 26, Hannover 2014
  • Grunsky-Peper, Konrad / Lengsfeld, Klaus / Schlee, Ernst: Gemaltes Nordfriesland. Carl Ludwig Jessen und seine Bilder, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft mbH u. Co. KG, Husum 1983
  • Hansen, Christian Peter: Chronik der friesischen Uthlande, Verlag Adolph Lange, Altona 1856
  • Hansen, Christian Peter: Das schleswig’sche Wattenmeer und die friesischen Inseln, Verlag Carl Flemming, Glogau 1865
  • Hansen, Willi: Die Sturmflut, die Nordfrieslands Küste formte. Der Untergang der Insel Strand 1634, Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, Heide 2022
  • Harth, Ulli: Untergang der Halligen, Christians Verlag, Hamburg, 1992
  • Heinrich, Christian und Jacobs, August: Land unter … im schwersten Orkan seit hundert Jahren. Die Sturmflutkatastrophe auf den Halligen im Februar 1962, Christian Jensen Verlag, Breklum 1962
  • Jergas, Karin: Die Auferstehung eines Sees. Der Deichgraf holt Wasser ins Land, in: Die Zeit, Ausgabe vom 05. November 1982
  • Jessel, Hans Werner: Fliesen in alten Friesenhäusern, in: Das Heimatbuch der Nordfriesen, zusammengestellt unter Mitarbeit vieler Heimatkundiger von Dr. H. H. Schulz, Thordsen Verlag, Seite 60 ff., Hamburg 1957
  • Knobloch, Jochen / Schümann, Beate: Im Flug über die deutsche Nordseeküste, 2. Auflage 2007, Hinstorff Verlag GmbH, Rostock 2006
  • Kölmel, Reinhard: Naturführer Nordsee. Tiere – Pflanzen – Landschaften, Wachholtz Verlag, Kiel/Hamburg 2016
  • Koerner, Angelika: Sturmfluten an der Nordseeküste. Reportagen aus 1000 Jahren, Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co., Heide 1994
  • Kramer, Johann: Kein Deich, Kein Land, Kein Leben. Geschichte des Küstenschutzes an der Nordsee, Verlag Gerhard Rautenberg, Leer 1989
  • Kremer, Rüdiger: Küstenland Schleswig-Holstein. Leben am und mit dem Meer, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 2015
  • Kürtz, Jutta: Kleines ABC des schleswig-holsteinischen Wattenmeeres, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 2006
  • Küster, Hansjörg: Nordsee. Die Geschichte einer Landschaft, Wachholtz Verlag 2015
  • Kunz, Harry / Pingel, Fiete / Steensen, Thomas: 100 x Nordfriesland, Nordfriisk Instituut, Bredstedt 2016
  • Kuschert, Rolf: Der Rote Haubarg. Baudenkmal und Museum in Witzwort in der Landschaft Eiderstedt, Husum 1991
  • Laage, Karl Ernst: Theodor Storm – Leben und Werk, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft GmbH 2015
  • Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg:) Zustand und Belastung der einzelnen Seen: Bottschlotter See, in: Seenkurzprogramm 2001, Kiel 2001
  • Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein (Hrsg.): Quer durch Schleswig-Holstein. Unseren Boden begreifen, Flintbek 2011
  • Lehmann, Otto: Nordfriesischer Pesel aus der Gegend von Viöl, in: Das Heimatbuch der Nordfriesen, zusammengestellt unter Mitarbeit vieler Heimatkundiger von Dr. H. H. Schulz, Thordsen Verlag, Seite 55 ff., Hamburg 1957
  • Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim und Pelc, Ortwin (Hrsg.): Schleswig-Holstein Lexikon, Wachholtz Verlag, Kiel/Hamburg 2000
  • Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim und Pelc, Ortwin (Hrsg.): Das Neue Schleswig-Holstein Lexikon, Wachholtz Verlag, Kiel/Hamburg 2006
  • Meier, Dirk: Mensch und Umwelt im Rungholt-Gebiet des hohen und späten Mittelalters, in: Newig, Jürgen und Haupenthal, Uwe (Hrsg.), Rungholt. Rätselhaft & widersprüchlich, S. 19-31, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft mbH u. Co.KG, Husum 2016
  • Meier, Dirk: Naturgewalten im Weltnaturerbe Wattenmeer, Boyens Buchverlag GmbH & Co.KG, Heide 2012
  • Meier, Dirk: Weltnaturerbe Wattenmeer. Kulturlandschaft ohne Grenzen, Boyens Buchverlag GmbH & Co.KG, Heide 2010
  • Missfeldt, Jochen: Du graue Stadt am Meer – Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert, Carl Hanser Verlag, München 2013
  • Muuß, Rudolf: Die große Flut vom 11. Oktober 1634, in: Das Heimatbuch der Nordfriesen, Thordsen-Verlag, Hamburg 1957
  • Naudiet, Rainer: Sturmflut 1976, Verlag Hansen & Hansen, Münsterdorf 1976
  • Newig, Jürgen: Die Küstengestalt Nordfrieslands im Mittelalter nach historischen Quellen, in: Schernewski, Gerald und Dolch, Tobias (Hrsg.): Geographie der Meere und Küsten, Coastline Reports (1), S. 23-36, 2004
  • Newig, Jürgen und Theede, Hans (Hrsg.): Das Wattenmeer. Landschaft im Rhythmus der Gezeiten, Edition Ellert & Richter, Hamburg 2001
  • Newig, Jürgen und Theede, Hans (Hrsg.): Sturmflut. Gefährdetes Land an der Nordseeküste, Edition Ellert & Richter, Hamburg 2000
  • Newig, Jürgen und Haupenthal, Uwe (Hrsg.): Rungholt. Rätselhaft & widersprüchlich, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 2016
  • Niemeyer, Hanz Dieter und Kaiser, Ralf: Hydrodynamische Wirksamkeit von Lahnungen, Hellern und Sommerdeichen, in: Die Küste, 64, 2001, Seiten 15-60, Kuratorium für Forschung im Küsteningenieurwesen, c/o Bundesanstalt für Wasserbau, Hamburg 2002
  • Paulsen, Nis / Hrsg. vom Sielverband Sönke Nissen-Koog: Sönke Nissen-Koog 1924-1974, Breklumer Verlag 1977
  • Petersen, Marcus und Rohde, Hans: Sturmflut. Die großen Fluten an den Küsten Schleswig-Holsteins und in der Elbe, Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1979
  • Quedens, Georg: Nordsee – Mordsee, Breklumer Verlag, Breklum 1978
  • Quedens, Georg: Orkanfluten. Gegen Inseln, Halligen und Küsten, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2020
  • Reise, Karsten: Das Watt – Wunderwelt zwischen Land und Meer, Hamburg 2022
  • Reiss, Jochen: 111 Orte in Nordfriesland, die man gesehen haben muss, Emons Verlag, Köln 2017
  • Rüther, Wolfgang: Hausbau zwischen Landes- und Wirtschaftsgeschichte. Die Bauernhäuser der Krummhörn vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Münster (Westf.) 1999
  • Schirrmacher, Günter: Hallig Hooge. Land mitten im Meer, Breklumer Verlag, Breklum, 2. Auflage 1976
  • Schulz, H. H. u. a.: Das Heimatbuch der Nordfriesen, zusammengestellt unter Mitarbeit vieler Heimatkundiger von Dr. Hans Hermann Schulz, Thordsen Verlag, Hamburg 1957
  • Siems, Werner: Nationalpark zwischen Ebbe und Flut. Ein Natur-Erlebnis-Führer, Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, Heide 2018
  • Sönnichsen, Uwe und Moseberg, Jochen: Wenn die Deiche brechen. Sturmfluten und Küstenschutz an der schleswig-holsteinischen Westküste und in Hamburg, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 1994
  • Steensen, Thomas: Heimat Nordfriesland. Ein Kanon friesischer Kultur, Verlag Nordfriisk Instituut, Bräist/Bredstedt 2011
  • Steensen, Thomas und Ziemek, Hans-Peter: Kleines Hallig-ABC, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 2019
  • Steensen, Thomas: Nordfriesland. Menschen von A-Z, Husum Druck- uns Verlagsgesellschaft mbH u. Co. KG, Husum 2020
  • Steensen, Thomas: Nordfriesland von einst bis jetzt, Husum Druck- uns Verlagsgesellschaft mbH u. Co. KG, Husum 2022
  • Stock, Martin / Bergmann, Hans-Heiner / Zucchi, Herbert: Watt – Lebensraum zwischen Land und Meer, Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, 3. Auflage, Heide 2012
  • Storm, Theodor: Der Schimmelreiter, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2016
  • Voigt, Julia und Voigtländer, Imke: Küsten-Wissen. Von Achtern bis Zugvögel, Hamburg 2017
  • Weigelt, Georg: Die nordfriesischen Inseln vormals und jetzt. Eine Skizze des Landes und seiner Bewohner (1858), Otto Meißner Verlag, Hamburg 1858

Verlandung

Wenn organisches Material sedimentiert und auf den Boden sinkt, kommt es zur Verlandung

Lahungsfelder beschleunigen die VerlandungMan unterscheidet zwei Formen der Verlandung: die natürliche und die künstlich herbeigeführte.

Bei der natürlichen Verlandung kommt es in flachen, stehenden und nährstoffreichen Gewässern zu einem sogenannten Biomassenzuwachs, der vom Ufer ausgeht.

Dabei sammelt sich organisches Material in Form von abgestorbenen Pflanzenteilen im Wasser an, das als Schwebstoff auf den Boden sinkt. Durch den vorhandenen Sauerstoff sedimentieren die organischen Anteile dieser Schwebstoffe. Ein Teil der Sinkstoffe zersetzt sich. Für den anderen Teil der Sinkstoffe reicht der Sauerstoffgehalt für die vollständige Zersetzung nicht aus. Dieser Teil bleibt allmählich als eine Art Schlammschicht (auch als ›Muddeschicht‹ bezeichnet) auf dem Boden zurück. Währenddessen sammeln sich organische und anorganische Substanzen am Ufer des Sees an.

Die Größe der offenen Wasserfläche nimmt weiter ab; auch die Wassertiefe verringert sich. Nach und nach nehmen die Schlammablagerungen zu. So kommt es zu einer zeitlichen Abfolge unterschiedlicher Organismen, die Ufer- und Wasservegetation kann sich zur Seemitte hin verschieben. Im Laufe von langen Zeiträumen legt sich ein dichter werdendes Netz aus Wurzel- und Pflanzengeflecht über diese Schlammschicht. Dieses Netz bildet eine Schicht, die mit dem Begriff ›Schwingdecke‹ oder ›Schwingrasen‹ versehen werden kann. Die Wasseroberfläche des Sees wird schließlich geschlossen, bis am Ende das Wasser ganz verschwunden ist. Aus dem See ist Festland geworden und die natürliche Verlandung damit abgeschlossen.

Eine künstliche Verlandung wird an der deutschen Nordseeküste grob in drei Phasen aufgeteilt:

In der ersten Phase werden sogenannte Buhnen und Lahnungen errichtet. Buhnen können beispielsweise doppelte Holzpflockreihen im Wattenmeer oder auch Steinwälle sein, die im rechten Winkel zum Strandverlauf angeordnet und in das Meer hineingesetzt werden. Sie haben die Aufgabe, die Strömungsgeschwindigkeit von uferparallelen Strömungen zu verlangsamen und die Wellen zu brechen.

Zusätzlich werden die Buhnen durch sogenannte Lahnungen ergänzt, die ebenfalls aus einer doppelten Holzpflockreihe bestehen können, aber im Unterschied zu den Buhnen anders angeordnet sind und mit Faschinen versehen werden – das heißt zwischen den Holzpflöcken der doppelten Holzpflöcke werden walzenförmige Reisig- oder Rutenbündel befestigt, sogenannte ›Faschinen‹. Spätestens nach 5 Jahren muss die Buschpackung einer Lahnung ersetzt werden.

Die Lahnungen werden parallel zum Küstenverlauf und im rechten Winkel zu den Buhnen gesetzt, so dass sich Lahnungsfelder bilden können, die jeweils etwa eine Größe von 100 m x 200 m haben. Mit jeder Flut kann Wasser in die Lahnungsfelder strömen, das dort jetzt zum Stillstand kommt. Die im Wasser enthaltenen Sink- oder Schwebstoffe können sich absetzen, die Sedimentation, also die Aufschlickung wird gefördert.

In der zweiten Phase werden innerhalb der Lahnungsfelder Wassergräben ausgehoben, die auch als Grüppen bezeichnet werden. Der dabei ausgehobene Schlick wird zwischen den Grüppen, den sogenannten Beeten abgelegt. Dadurch ist es möglich, dass noch Wasser trotz der erhöhten Bereiche in einen Teil der Lahnungsfelder – in die Grüppen – vordringen kann. Auf diese Weise wird die Sedimentation gefördert. Der Bereich der Beete wird parallel dazu durch die Schlickablagerungen auf ein höheres Niveau gebracht als das Niveau des mittleren Tiedehochwasserstandes.

Hat sich die Fläche innerhalb der Lahnungen hinreichend hoch ausgebildet, finden in der dritten Phase die Eindeichung statt. Ein zusätzlicher Naturraum, der innerhalb eines Koogs ganz verschiedenartig genutzt werden kann, ist entstanden.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Abbildung

Literaturverzeichnis

Theodor Storm

Theodor StormDer Dichter, Novellist und deutsche Jurist Theodor Storm gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des ›Poetischen Realismus‹. Der ›Poetische Realismus‹ prägt eine wesentliche Epoche der Literaturgeschichte in der Zeit von 1848 bis 1890 und wurde von bedeutenden Autoren des 19. Jahrhunderts getragen. Neben Theodor Storm zählen zum Beispiel auch Theodor Fontane, Gottfried Keller, Wilhelm Raabe oder Friedrich Hebbel zu den Hauptvertretern dieser Literaturgattung.

Von den 58 Novellen ist die 1888 erschienene Novelle ›Der Schimmelreiter‹, in der es um das Schicksal des fiktiven Deichgrafen Hauke Haien geht, Theodor Storms letzte und gleichzeitig auch – neben ›Immensee‹ – seine bekannteste Novelle. Sie ist mit den Naturgewalten der Nordsee und den Menschen, die dort leben, untrennbar verbunden. Hauke Haien wurde zum Namensgeber des Naturschutzgebietes ›Hauke-Haien-Koog‹, das zwischen 1958 und 1960 im Zuge der Eindeichung entstand, etwa 1200 Hektar groß ist und zum großen Teil als Schutzgebiet für Seevögel dient. Mit diesem Koog wurde eine Wende im Küstenschutz eingeleitet. War es bisher üblich den gesamten Koog für die landwirtschaftliche Nutzung bereitzustellen, wurden jetzt mehr als die Hälfte des Koogs, nämlich 700 Hektar als Speicherbecken für die Binnenentwässerung und gleichzeitig als Schutzgebiete für Seevögel ausgewiesen.

Theodor Storm wurde am 14. September 1817 als ältester Sohn eines angesehenen Notars in Husum geboren, der ›grauen Stadt am Meer‹, wie er sie einst in seinem berühmten Gedicht ›Die Stadt‹ (1852) mit melancholischer Grundstimmung charakterisiert hatte. An der Christian-Albrechts-Universität in Kiel studierte er ab 1837 Jura. In diesen Jahren befreundet er sich mit dem später bedeutenden Historiker und Altertumsforscher, Theodor Mommsen, den er 1839 kennenlernt.

Nach dem Studium kehrt Theodor Storm 1843 nach Husum zurück, wo er eine Anwaltskanzlei eröffnet. 1846 heiratet Storm seine Cousine Constanze Esmarch, mit der er sich 1844 verlobt hatte. Sieben Kinder gehen aus dieser Ehe hervor.

Da Theodor Storm auch nach dem Friedensschluss des Ersten Schleswig-Holsteinischen Krieges zwischen Preußen und Dänemark vom 2. Juli 1850 eine gegenüber den Dänen kritische Haltung einnahm und sich weigerte, der dänischen Krone eine Loyalitätserklärung abzugeben, wurde ihm 1852 die Advokatur durch den dänischen Schleswigminister Friedrich Ferdinand Tillisch entzogen. Im gleichen Jahr wird die 2. Fassung seiner schon 1849 geschriebenen Novelle ›Immensee‹ veröffentlicht, die seine Bekanntheit im deutschsprachigen Kulturraum markierte.

Die Jahre nach dem Entzug seiner Advokatur 1852 waren von beruflichen und finanziellen Schwierigkeiten geprägt. Im Kreisgericht Potsdam erhielt er 1853 eine zunächst unbezahlte Stellung als Gerichtsassessor, die er bis 1856 einnahm. Im selben Jahr (1856) erhielt er eine Anstellung als Richter am Kreisgericht Heiligenstadt, in Thüringen. Während dieser Zeit entstanden seine Novellen ›Auf dem Staatshof‹, ›Drüben am Markt‹, ›Im Schloss‹ und ›Auf der Universität‹, Novellen, die seine Bedeutung als realistischen Erzähler hervorhoben.

Der ›Zweite Schleswig-Holsteinische Krieg‹ führte 1864 zur Niederlage Dänemarks. Vom preußischen Staatsdienst verabschiedet sich Theodor Storm und zieht im gleichen Jahr ein zweites Mal nach Husum zurück, wo die Bevölkerung ihn zum Landvogt des Kreises Husum berief. 1865 stirbt seine Frau Constanze Storm nach der Geburt der Tochter Gertrud. In seinem Gedichtzyklus ›Tiefe Schatten‹ versucht Theodor Strom seine Trauer zu verarbeiten, namentlich in den beiden Gedichten ›Die Stadt‹ und ›Ans Haff nun fliegt die Möwe‹, die zu den bekanntesten Arbeiten im Zyklus gehören.

1866 heiratet Theodor Storm seine ehemals große Liebe Dorothea Jensen, die er bereits 1846, im Alter von 28 Jahren kennenlernte und die ihn 1849 zu der berühmten Novelle ›Immensee‹ inspirierte. Mit Dorothea Jensen zieht Storm in das Husumer Haus Wasserreihe 31, das er bis 1880 bewohnt und das heute als Theodor-Storm-Museum genutzt wird. 1874 wird er zum preußischen Oberamtsrichter ernannt. In diesem Jahr schreibt Storm die Erzählung ›Pole Poppenspäler‹, die für jugendliche Leser bestimmt ist und eine Auftragsarbeit darstellt.

Im Jahre 1880 lässt Theodor Storm sich vorzeitig pensionieren, um sich in der kleinen Gemeinde Hademarschen niederzulassen, eine Gemeinde, die in der Mitte des Dreiecks liegt, das von den Kreisstädten Rendsburg, Heide und Itzehoe gebildet wird. Hier entstehen seine sogenannten Altersnovellen ›Der Herr Etatsrat‹, ›Die Söhne des Senators‹, ›Hans und Heinz Kirch‹, ›Ein Doppelgänger‹, ›Ein Bekenntnis‹ und 1888 ›Der Schimmelreiter‹

Theodor Storm stirbt am 4. Juli 1888. Im Familiengrab des Husumer St.-Jürgen-Friedhofs findet er seine letzte Ruhestätte.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturverzeichnis

Bildnachweis
Urheber: Autor Unbekannt | Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons | URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/37/Theodor_Storm_%281817-1888%29.jpg

Schimmelreiter

Die Novelle des Juristen, Dichters und Novellisten Theodor Storm zählt zu seinen bekanntesten Werken. Es war Storms letzte Novelle, die im Jahre 1888 veröffentlicht wurde. Nicht wenige Nordfriesen verbinden mit dem ›Schimmelreiter‹ ein auf Nordfriesland bezogenes Epos.

Inhaltsangabe:
Schimmelreiter | Sylter LeuchtturmDer Ich-Erzähler berichtet von einem Ereignis, das sich in den Zwanziger Jahren des Neunzehnten Jahrhunderts ereignete: Während eines schon seit Tagen anhaltenden starken Unwetters im Oktober reitet der Erzähler, vom Hofe eines Verwandten kommend, auf einem nordfriesischen Deich in Richtung Stadt, die noch einige Stunden von ihm entfernt liegt. Die Dämmerung setzt bereits ein und auf den Weideflächen der Marsch ist das Vieh bereits entfernt worden. Eintönigkeit und schneidende Kälte breiten sich aus, während die gelb-grauen Wellen im Sturm wütend gegen den Deich schlagen. Inseln und Halligen lassen sich nicht mehr erkennen, Himmel und Erde nicht mehr unterscheiden. Der Erzähler verspürt angesichts des bedrohlichen Sturms, der zunehmenden Finsternis, Kälte und Nässe den starken Wunsch, in die Sicherheit des warmen Quartiers umzukehren. Doch der Weg zurück war bereits länger als der nach dem Reiseziel.

Vertieft in solchen Betrachtungen erkennt er im fahlen Licht des Mondes plötzlich eine dunkle Gestalt, die sich ihm auf einem hageren und hochbeinigen Schimmel zügig nähert, bis diese mit im Winde flatterndem, dunklem Mantel an ihm vorbei eilt. In dem kurzen Augenblick der Begegnung sehen ihn »zwei brennenden Augen aus einem bleichen Antlitz an« (Schimmelreiter, 2016, Seite 11). Und obwohl Pferd und Reiter dicht am Erzähler vorbei hasten, sind weder Hufschlag noch Keuchen des Pferdes zu vernehmen. Noch während der Ich-Erzähler über diesen sonderbaren Vorgang nachdenkt, eilen Ross und Reiter von rückwärts kommend wieder dicht an ihm vorbei. Auch diesmal geschieht dies wie schon zuvor auf unheimliche Weise lautlos. Wenig später verschwindet die Gestalt allmählich in Richtung Binnenseite des Deiches.

Mit Erleichterung sieht er kurze Zeit darauf die Lichter eines großen Hauses, das auf halber Höhe des Binnendeiches steht und sich als Wirtshaus herausstellt. Er tritt in den Gastraum ein und gewahrt etwa ein Dutzend Männer, die an einem großen Tisch sitzen. Schnell kommt er mit dem dort anwesenden Deichgrafen ins Gespräch, dem er von der sonderbaren und lautlos vorbeieilenden Gestalt auf dem Deich berichtet. Unvermittelt wird es still in dem Gasthaus, bis jemand unter den Anwesenden erschrocken ruft: »Der Schimmelreiter!« (Schimmelreiter, 2016, Seite 14). Der Ich-Erzähler wird neugierig und möchte nun mehr wissen und was es mit dem ›Schimmelreiter‹ auf sich habe. Ein in der hinteren Gaststube, etwas abseits sitzender, schon leicht gebeugter Schulmeister wird als geeigneter Berichterstatter angesehen und von den übrigen Anwesenden gedrängt, von den Ereignissen zu berichten, die sich um den ›Schimmelreiter‹ ranken.

Der Schulmeister lässt sich nicht lange bitten, während er sich mit zustimmendem Lächeln zum Ich-Erzähler und zu den übrigen Gästen an den langen Gaststubentisch setzt. Die nun von ihm vorgetragene Geschichte geschah etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt jener Ereignisse steht der noch junge und spätere Deichgraf Hauke Haien, die Hauptfigur der Novelle ›Der Schimmelreiter‹, und dessen Vater Tede Haien, der einige Fennen mit Raps und Bohnen unterhält. Schon früh sieht der Junge seinem Vater zu, der häufig Messungen und Berechnungen durchführt und allerhand Notizen entwirft. Eines Tages findet der neugierige Hauke auf dem Dachboden des Elternhauses ein holländisches Buch von Euklid, außerdem eine holländische Grammatik. Beide noch vom Großvater stammenden Bücher kann er behalten. Tede Haien zweifelt zunächst den Nutzen beider Ausgaben für seinen Sohn an. Doch der Winter hat gerade erst begonnen und der Mathematiker Euklid von Alexandria (geboren etwa 365 v. Chr.) entspricht in gewisser Weise dem aktuellen Zeitgeist. Gegen Ende April, zur Blütezeit der Stachelbeeren, hatte Hauke Haien ›seinen‹ Euklid, den er immer bei sich trägt, in vielen Teilen bereits verstanden.

Tede Haien, der für die Studien seines Sohnes wenig Verständnis aufbringt, muss erkennen, dass dieser für Kühe und Schafe wenig im Sinn hat und er einen ›Halbgelehrten‹ für seine Fennen nicht brauchen kann. Deshalb schickt seinen Jungen an den Deich, wo er mit anderen Arbeitern bis gegen Ende Oktober Erde karren soll. »Das wird ihn vom Euklid kurieren«, hofft er bei sich selbst (Schimmelreiter, 2016, Seite 17). Doch der Vater täuscht sich. Hauke Haien karrt zwar an jedem Tag die Erde und schafft gewöhnlich auch mehr als seine Mitstreiter. In den Pausen aber sitzt er auf seiner umgestülpten Karre und beschäftigt sich ausdauernd mit seinem Euklid. Im Herbst muss bei ansteigenden Fluten die Arbeit hin und wieder eingestellt werden. Hauke nutzt die freie Zeit, um Stunde für Stunde an der Außenböschung des Deiches zu sitzen und die hart hinaufschlagenden Nordseewellen zu beobachten. Hin und wieder rückt er, bei ansteigenden Fluten, einige Fuß höher hinauf und beobachtet dann wieder unermüdlich das anschlagende Wasser. Häufig verharrt er so bis in die einbrechende Nacht, während die anschlagenden Wellen immer wieder an die gleiche Stelle schlagen und ganz allmählich »vor seinen Augen die Grasnarbe des steilen Deiches auswuschen« (Schimmelreiter, 2016, Seite 18). In Hauke Haien reift die Erkenntnis, dass die Deiche zur Seeseite hin zu steil sind und zu viel Angriffsfläche bieten, die sie auf Dauer nicht bestehen können. Nur duch einen sanfteren Abfall lässt sich seiner Überzeugung nach die die Wucht des anschlagenden Wassers mildern.

So zieht es Hauke selbst bei ansteigenden Fluten und heftigen Winden immer wieder zum Deich; Anlass für immer wieder auftretende Auseinandersetzungen mit seinem Vater, der indessen fürchtet, dass sein Sohn in den ansteigenden Fluten eines Tages noch umkommen werde. Aber der ehrgeizige Hauke bleibt unverdrossen bei seiner Haltung. Für ihn bieten die Deiche kaum Sicherheit, da die Wasserseite zu steil ist. Und den anrollenden Wassermassen haben sie nicht viel entgegenzusetzen. Deshalb sind sie in seinen Augen wertlos, sie taugen einfach nichts.

In den folgenden Monaten nimmt Haukes Unzufriedenheit zu und auch die Streitigkeiten mit dem alten Vater werden nicht weniger. Im einem unkontrollierten Jähzorn erwürgt Hauke eines Tages den Angorakater, Lebensinhalt und Zierde der alten Trien‘ Jans, als dieser ihm in einem unbemerkten Augenblick einen zuvor gefangenen Vogel entreißt. »Man wird grimmig in sich, wenn man’s nicht an einem ordentlichen Stück Arbeit auslassen kann« (Schimmelreiter, 2016, Seite 29), gibt Hauke gegenüber seinem Vater zu erkennen. Der alte Tede, der fürchten muss, dass alles nur noch schlimmer kommen könne, fordert deshalb von seinem Sohn, dass es Zeit sei, sich endlich einen Dienst zu beschaffen. Außerdem sei die Kate, in der sie lebten, für beide auf Dauer zu klein.

Hauke stimmt seinem Vater bei und schlägt vor, im Hause des Deichgrafen Tede Volkerts, der mit seiner achtzehnjährigen Tochter Elke ein langgestrecktes, großes Haus unterhält, als Kleinknecht seinen Dienst verrichten zu wollen. Zufällig sei diese Posten gerade frei geworden, da der Hauswirt seinen bisherigen Kleinknecht wegen fehlender Zuverlässigkeit habe fortjagen müssen. Insgeheim verbindet Hauke mit diesem Wunsch die stille Hoffnung, dass er seine Fähigkeiten im Umgang mit Zahlen würde einbringen und es künftig selbst einmal zum Deichgrafen zu bringen. Doch in den Augen Tede Haiens ist Tede Volkerts einfach nur »dumm wie ’ne Saatgans« (Schimmelreiter, 2016, Seite 30), der es nur deshalb zum Deichgrafen habe bringen können, weil schon sein Vater und Großvater Deichgrafen gewesen seien und weil er 29 Fennen (Fenne = Weidefläche der Marsch) besitzt. Trotz der vorhandenen Vorbehalte ermuntert Tede Haien schließlich seinen Sohn, sein Glück zu versuchen. Da Tede Volkerts von Zahlen und Rechnunen nicht viel versteht, steht Elke ihrem Vater hin und wieder in der Buchhaltung und notwendigen Rechnungen zur Seite. Wenn aber um Martini herum die Deich- und Sielrechnungen anstehen, wird der Schulmeister vom behäbigen Tede Volkerts mit Weizenkringeln, Gansbraten und Met geködert und umschmeichelt, so dass dieser mit gespitzter Feder die Zahlenkolonnen durchläuft und die Rechnungen schreibt.

Am darauffolgenden Tag sprechen Tede und Hauke Haien beim Deichgrafen vor, der bald darauf auch sein Einverständnis erklärt und in Hauke jemanden findet, der ihm nicht nur am Deich, vielmehr auch in der Buchhaltung zur Seite stehen und »mit Feder oder Rechenstift so manches profitieren« kann (Schimmelreiter, 2016, Seite 36). Tede Haien handelt für seinen Sohn noch einige weitere Vergünstigungen aus, die zuvor zwischen Vater und Sohn zu wenig bedacht und nun im anschließenden Kontrakt festgelegt werden.

Wenig einverstanden mit Hauke Haien ist der gesprächige und ebenfalls im Hause des Deichgrafen tätige Großknecht Ole Peters, der mit dem zwar stillen aber geistig weit überlegenen Hauke nicht viel anzufangen weiß. Den schlichten, stämmigen, übergewichtigen und gutmütigen Vorgänger Haukes, Niß, konnte er noch nach Belieben herumstoßen und für grobe Arbeiten einteilen. Mit Hauke, der eine ganz eigene, selbstbewusste Art hat, ihn anzuschauen, ist dies allerdings nicht möglich, obgleich er stets versucht, ihn für schwere Arbeiten einzuteilen, die seinem schlanken, noch nicht gefestigten Körper hätten gefährlich werden können. Aber Elke Volkerts, die sich mit dem Jungen sehr verbunden fühlt und ihn gut versteht, weiß dies regelmäßig abzuwenden.

Eines Abends, im Mai, holt sich der alte Deichgraf Hauke zum ersten Mal in die Stube, um notwendige Berechnungen durchzuführen zu lassen. In den kommenden Monaten geschieht dies immer häufiger, während der Deichgraf nicht selten in seinem Lehnstuhl im hinteren Teil der Stube einschläft und dazu vernehmlich schnarcht. Für Hauke und Elke sind dies die seltenen Momente, um leise miteinander zu sprechen und ihr Interesse füreinander zeigen zu können. Auch ist dies die Zeit, in der Hauke gegenüber Tede Volkerts auf Mißstände draußen am Deich hinweist und darauf, dass die Durchsetzung der Deichordnung zu wenig Beachtung fände, er nutzt das Beisammensein, auf schädliches Handeln oder Unterlassen in Deichangelegenheiten hinzuweisen. Endlich kommt es mehr und mehr sowohl in der Verwaltung als auch am Deich zu lebhafteren Aktivitäten, die der Oberdeichgraf, wenn er zur Begutachtung kam, dem behäbigen Deichgrafen gegenüber lobend herausstellt, in der Annahme, dass sie von diesem ausgehen würden. Tatsächlich ist Hauke es, der alles das sieht, was der alte Deichgraf eigentlich hätte sehen sollen.

Inzwischen war Hauke in seinem dritten Dienstjahr, in welchem, wie in jedem Jahr, das traditionelle Winterfest, auch als ›Eisboseln‹ bezeichnet, abgehalten wurde. Jeweils neun Werfer bildeten die Geestmannschaft auf der einen und die Marschmannschaft auf der anderen Seite. Hauke, der fürchtete, von seinem Konkurrenten Ole Peters, der als Kretler (Wortführer) der Marschteilnehmer einen Ehrenposten innehatte, zurückgewiesen zu werden, wollte sich eigentlich nicht beteiligen, ließ sich aber von Elke Volkerts zur Teilnahme überreden. Trotz der Bemühungen Ole Peters, ihn als Mitglied der Marschmannschaft fernhalten zu wollen, wurde Hauke – von Ole bezüglich Elke Volkerts als Kokurrent betrachtet – von der Mehrheit der Teilnehmer als der ›wahre‹ Deichgraf angesehen und daher als unentbehrlicher Werfer eingeteilt. Für die übrigen Werfer sollte sich diese Eintscheidung als richtig herausstellen. Das Spiel dauerte bis in den frühen Abend hinein. Hauke, der sich bereits während seiner Knabenzeit täglich in Mathematik und Wurftechnik übte, erzielte mit jedem Wurf eine größere Weite, bis die weiß gekalkte Tonne endlich in Sichtweite kam. Und nun ließ Hauke die Kugel vor seinem nächsten Wurf einige Male in seiner Hand auf und ab gleiten, bevor er sie schließlich in einem entschlossenen Kraftaufwand und mit äußerster Anspannung aller Sinne für die Umstehenden ganz unerwartet in die noch weit entfernte Tonne platzierte und der Marschmannschaft den ersehnten und bejubelten Sieg brachte.

Mit Hochrufen auf Hauke (»Hurra für Hauke!«) machte sich die Menge lärmend und ausgelassen auf den Weg zum Kirchspielskrug, wo man den Sieg der Marschleute feierte und und wo man tanzte. Für Elke und Hauke war dies der Ort, in welchem Elke ihre Zuneigung zu Hauke eindeutig bekundete. Ole Peters, offenbarte sie Hauke gegenüber, habe mit ihr tanzen wollen, gegönnt habe sie es ihm aber nicht, den habe sie zurückgewiesen, »der kommt nicht wieder!« (Der Schimmelreiter, Seite 56). Dies und mehr besprachen Sie leise und etwas abseits miteinander. Spät am Abend gingen beide, sich an den Händen haltend, mit Frühlingsgefühlen im kalten Januar nach Hause.

Am darauffolgenden Sonntag besucht Hauke den alten Goldschmied Andersen, um für Elke einen passenden Goldring auszusuchen. Als er sieht, dass dieser auch auf seinen kleinen Finger passt bezahlt Hauke ihn mit großer Verlegenheit und verwahrt ihn von da an mit Unruhe und gleichzeitig mit Stolz Woche für Woche in seiner Westentasche. Eines Tages, so hofft er, würde sich der passende Augenblick schon ergeben, um ihn Elke über den Finger zu streifen. Ole Peters, sein ärgster Kontrahent, kündigt etwa ein Jahr nach dem Winterfesttag, seinen Dienst als Großknecht, um die übergewichtige Vollina Harders, mit der er während des Winterfestes ausgiebig getanzt hatte, zu heiraten. Immerhin besitzt Vollinas Vater, Jeß Harders, 25 Demat Marschboden (1 Demat = 5700 qm). Und mit der Heirat kann Ole seine dienstliche Stellung endlich erheblich verbessern, zumal Jeß Harders sich nun auf sein Altenteil zurückzieht. Hauke rückt nun zum Großknecht auf, während ein jüngerer seinen bisherigen Dienst als Kleinknecht übernimmt.

Eines Tages, ein weiteres Jahr war vergangen, bekennt Hauke gegenüber Elke, dass sein alter Vater sich zunehmend quäle und kümmerlicher werde und die Zeit, die der Wirt ihm für dessen Wirtschaft lasse, nicht mehr ausreiche. Er dürfe sich das nicht länger ansehen, müsse sich mehr um ihn kümmern und den Dienst bei ihrem Vater aufgeben, um nach dem Rechten sehen zu können. Elke schweigt eine Weile, zeigt aber Verständnis und erwidert, dass sie wegen seines alten Vaters auch an ihren Vater denken müsse, von dem sie das Gefühl habe, auch er bereite sich langsam auf seinen Tod vor.

Durch Elkes Fürsprache kann Hauke den Dienst ohne rechtzeitige Kündigung vorzeitig verlassen, um für den kranken Vater da zu sein. Monate später, kurz vor seinem Tod, holt Tede Haien seinen Sohn noch einmal zu sich. Mit schwacher Stimme erwähnt er ein Dokument, das in der obersten Schublade der Schatulle liege und in dem die Fenne der alten Anje Wohlers, die den Boden wegen ihres hohen Alters habe nicht mehr bewältigen können, mit fünf und einem halben Demat auf Tede Haien übertragen habe. Jedes Jahr um Martini habe er der Alten eine bestimmte Summe seines Ersparten gegeben. Und da sein Sohn schon als Knabe den Wunsch in sich verspürt habe, es selbst einmal zum Deichgrafen bringen zu wollen, habe er, der Vater, in dessen Dienstzeit knapp gelebt, um den vorhandenen eigenen Marschboden, der ihm vielleicht einmal zusammen mit dem von Antje Wohlers zusätzlich erworbenen von Nutzen sein werde, zu vergrößern.
Hauke ist von dieser väterlichen Zuwendung äußerst ergriffen und während seiner noch an den Vater gerichteten, mühsam hervorgebrachten Dankesworte schläft Tede Haien für immer ein.

Elke sucht Hauke einen Tag nach dem Begräbnis auf, um in dessem Hause für Ordnung zu sorgen, da der Vater vor lauter Zahlen und Grundrissen nicht viel um sich geschaut habe, denn »auch der Tod schafft Wirrsal; ich will’s Dir wieder ein wenig lebig machen!« (Der Schimmelreiter, Seite 61). Trotz Trauer und Schmerz um den Verlust seines Vaters zeigt Hauke sich ihr gegenüber dankbar und erleichtert. Nach den Aufräumarbeiten, die bis in die Dämmerung hinein dauern, suchen sie die geräumige Wohnstube des Deichgrafen auf, um dort gemeinsam zu Abend zu essen. Ihr Vater habe, so Elke, ausdrücklich darum gebeten, Hauke mitzubringen. Tede Volkerts, der gewohnt schwerfällig in seinem Lehnstuhl sitzt, spricht sogleich von der immensen Arbeit die bevorstünde, von der bevorstehenden Herbstschau, von großen Mengen an Deich- und Sielrechnungen und schließlich von dem neuerlichen Deichschaden am Westerkoog. Alles das müsse getan werden und er, der Deichgraf, wisse nicht, wo ihm der Kopf stünde und Hauke sei nun mal um einiges jünger, könne noch eine Menge verrichten. Eine ungewohnt lange Rede des Alten, die Hauke schließlich davon überzeugt, die Arbeit des Deichgrafen zu übernehmen, so dass bereits der größte Teil bis zur anstehenden Herbstschau erledigt ist.

An dieser Stelle unterbricht sich der alte Schulmeister, da vom Hausflur her laute Geräusche vernehmbar sind. Zwei Männer betreten den Gastraum. Deichgraf und Gevollmächtigte schauen gespannt auf sie und fragen, was passiert sei. Beide Männer versichern, es mit eigenen Augen und nur einmal gesehen zu haben: Der Schimmelreiter habe sich in den Bruch gestürzt, es habe ausgesehen wie eine Art Schatten. Der bis dahin anwesende Deichgraf entschuldigt sich gegenüber dem Gast und verlässt mit den übrigen Männern die Schänke, um nachzusehen, was es damit auf sich habe. Der Ich-Erzähler bleibt unterdessen mit dem alten Schulmeister in der öden und leeren Gaststube allein zurück. Da der Schulmeister, der im gleichen Hause eine Giebelstube bewohnt, bittet den Gast auf sein Zimmer, wo es wärmer und behaglicher in seinem Ohrenlehnstuhl sei. Hier nun fährt er mit der Geschichte des Lebensweges von Hauke Haien fort:

Hauke tritt nach dem Tod seines Vaters, zusammen mit der Wohler’schen Fenne, sein väterliches Erbe an. Da inzwischen auch Antje Wohlers ihrem Leiden erlegen war, geht die Fenne in den vollständigen Besitz Haukes über. Für ihn bildet sie den eigentlich ersten Grundstein für den seit seiner Knabenzeit in sich getragenen Keim, dass er der rechte Mann sei, wenn es eines Tages einen neuen Deichgrafen geben sollte. Sein Vater, war es schließlich, dem er die Fenne zu verdanken hatte und die eine Art letzte Beigabe war, welche ihm den Weg zum künftigen Deichgrafen würde ebnen können. Unter den Dorfbewohner hat Hauke sich keine Freunde machen können, zumal er gegenüber der Deichverwaltung immer wieder auf die vielfältigen Mißstände hingewiesen und so manche Änderungen erzwungen hat. Vor seinem inneren Auge sieht er daher nur böse Blicke auf sich gerichtet. Ehrenhaftigkeit und Zuneigung auf der einen Seite, Ehrsucht und Hass auf der anderen Seite sind die stets widersteitenden Gefühle, die in dem jungen Hauke sich zwar regen und gegenwärtig sind, gegenüber der nichtsahnenden Elke aber verborgen bleiben.

Im folgenden Jahr gehören Elke und Hauke zu den geladenen Gästen einer Hochzeit. Zufällig sitzen beide nebeneinander, da ein näherer Verwandter für die Feier ausfällt. Und obwohl beide darüber sehr erfreut sind, sitzt Elke an diesem Tag etwas teilnahmslos und traurig inmitten des regen Treibens, der anhaltenden Geräuschkulisse und des klirrenden Geschirrs. Mit einem Gefühl aufkeimender Eifersucht sieht Hauke den Augenblick gekommen, Elke den Goldring überzustreifen. Mit zitternder Stimme fragt er sie, ob sie den Ring sitzen lasse, während Elke fragt, ob er warten könne. Jetzt erfährt Hauke auch den Grund für ihre Trauer und Teilnahmslosigkeit. Sie deutet an, dass es ihrem Vater sehr schlecht gehe und sie mit seinem nahen Tod rechnen müsse. Aber er müsse nicht fürchten, dass sie den Ring zu ihren Lebzeiten werde zurückgeben wollen. Zwischen Elke und Hauke entsteht ein inniges Gefühl der Verbundenheit. Beide lächeln und pressen ihre Hände fest ineinander.

Nach Ostern tritt ein, was Elke schon ahnte. Tede Volkerts wird tot und mit friedlichem Gesichtsausdruck in seinem Bett gefunden. Schon in den letzten Tagen hatte er nur noch wenig Lebenswillen aufbringen können. Selbst seinem geliebten Ofenbraten und seinen Enten brachte er kein Interesse mehr entgegen.
Seine letzte Ruhestätte findet Tede Volkerts oben auf der Geest, auf dem Friedhof um die Kirche herum, neben seinem Vater, dem früheren Deichgrafen, Volkert Tedsen. Aus allen Kirchspielsdörfern kommen nun, unten von der Marsch heran, viele Wagen, auf dessen vorderstem der schwere Sarg steht. Zahlreiche Menschen, Jungen mit kleinen Kindern auf den Armen, säumen den mit Wällen umgebenen Friedhof. Jeder will das Begräbnis sehen und daran teilnehmen.
Elke richtet währenddessen im Hause, drunten in der Marsch, in Pesel und Wohnstube das Leichenmahl her, fügt den Gedecken alten Wein hinzu und je eine Flasche Langkork für den Pastor und Oberdeichgraf, die ebenfalls erwartet werden. Nach ihren Vorbereitungen tritt sie vor die Hoftür und sieht drüben im Dorfe noch die letzten Wagen zur Kirche fahren. Es entstehen unruhige Bewegungen, denen eine Totenstille zu folgen scheinen. Für Elke wird klar, dass sich in diesem Augenblick wohl der Sarg in die Grube senkt. Elke faltet die Hände, ihre Augen füllen sich mit Tränen, sie verharrt eine Weile in stillem Gebet und bleibt lange noch unbeweglich stehen, »sie, die jetzige Herrin dieses großen Marschhofes; und Gedanken des Todes und des Lebens« (Schimmelreiter, 2016, Seite 69) sind die sich widerstreitenden Gefühlsregungen, von denen sie erbarmungslos überwältigt wird.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturverzeichnis

Abbildung

Deichgraf

Ein Deichgraf ist verantwortlich für die Aufsicht des Schutzdeiches

Deichgraf | Klimadeich in SchlüttsielAn der deutschen Nordseeküste ist der Deichgraf der Vorsteher eines genossenschaftlich organisierten Deichverbandes. Er ist insbesondere verantwortlich für die Überwachung und Unterhaltung der Deichanlagen.

In früheren Jahrhunderten konnte nur dann jemand als Deichgraf eingesetzt werden, wenn er genügend Land besaß. Das dafür gebräuchliche Flächenmaß, insbesondere in den ehemaligen deutschen Marschgebieten Schleswig-Holsteins wurde in Demat (auch: Demath, Diemat oder Diemt) angegeben. Ein Demat entsprach etwa einer Größe von 0,565 ha oder 5650 m².

Der Deichgraf Hauke Haien ist der Protagonist in der 1888 erschienenen Novelle ›Der Schimmelreiter‹ von Theodor Storm.

Im Mittelpunkt der um die Mitte des achtzehnten Jahrunderts spielenden Geschichte steht der junge Hauke Haien, der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Sohn des Landvermessers und Kleinbauern.

Hauke interessiert sich mehr für die Naturwissenschaften und besonders für die Mathematik, ist fasziniert von der See und den Deichen. Immer wieder zieht es ihn zum Wasser, um den an die Deiche schlagenden Wellen bis tief in die Nacht zuzuschauen. Eines Tages entlässt der alte Deichgraf, Tede Haien, einen seiner Knechte, so dass Hauke Haien dessen Stelle als Kleinknecht übernehmen kann. Da er dem alten Deichgrafen mehr bei dessen Berechnungen und Planungen zur Seite steht als in den Ställen, fällt er gegenüber dem Oberknecht, Ole Peters, in Ungnade.

Der Konflikt zwischen Ole Peters und Hauke Haien verschärft sich schon bald, als Hauke Haien das Interesse von Elke Volkerts, der Tochter des alten Deichgrafen, wecken kann und beide sich ineinander verlieben. Bald darauf verstirbt zunächst Tede Haien, der seinem Sohn das Haus und etwa 20 Demat Land hinterlässt (1 Demat = 0,565 ha = 5650 m²), dann auch der alte Deichgraf Tede Volkerts.

Als es darum geht, Hauke Haien als neuen Deichgrafen einzusetzen, spricht sich Ole Peters dagegen aus, da Hauke zu wenig ›Klei unter den Füßen‹ habe. Zu jener Zeit konnte nur derjenige die Stelle des Deichgrafen übernehmen, der über genügend Land verfügte. Hauke Haien besaß mit 20 Demat Land zu wenig.

Erst als Elke Volkerts sich einmischt und verkündet, dass sie Hauke Haien heiraten wolle, war die notwendige Größe Land vorhanden, so dass Hauke Haien nun auch die Stelle des Deichgrafen übernehmen konnte.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturverzeichnis

Abbildung

Dagebüll

Die ehemals selbstständigen Ortsteile Fahretoft, Juliane Marienkoog, Dagebüll und Waygaard wurden 1978 zusammengelegt

Dagebüll | PegelturmRichten wir den Blick auf eine Zeit, die etwa ein halbes Jahrtausend zurückliegt, so sehen wir um 1500 herum, im nordfriesischen Wattenmeer eine Reihe von Halligen mit den Bezeichnungen: Nordtoft, Galmsbüll, Dagebüll, Fahretoft, Waygaard und Ockholm. Sie waren bei aufkommenden Sturmfluten notorisch anfällig für schwere Überschwemmungen und Landverluste, wenn man von den vereinzelten Warftsiedlungen absieht. Durch die erste Eindeichung der Hallig Ockholm, konnte diese bereits 1515 mit dem Festland verbunden und gegenüber den drohenden Überflutungen mindestens besser geschützt werden. In den zurückliegenden Jahrhunderten wurden die Menschen, Häuser und Warften in Ockholm von den Sturmfluten immer wieder schwer getroffen. Einige der kleineren Halligen verschwanden in der Folgezeit völlig, während andere mit dem Festland verbunden werden konnten.

Mit der Eindeichung des Gotteskoogs im Jahre 1566 gelang es endlich, die ehemalige Insel- und Halligenlandschaft Wiedingharde mit den Dörfern Rodenäs, Aventoft, Klanxbüll, Neukirchen und Emmelsbüll-Horsbüll ›landfest‹ Hardt, 1992) zu machen und mit dem Festland zu verbinden. Gleichzeitig konnte der Verwaltungsbezirk Horsbüllharde (Wiedingharde) zumindest im Osten besser vor Sturmfluten geschützt werden. Als Folge dieser Anstrengungen entstand zwischen der ehemaligen Horsbüllharde (Wiedingharde) und und dem Ockholmer Koog die Dagebüller Bucht, in der eine größeren Anzahl von Halligen lagen.

In früheren Jahrhunderten sprach man vom ›Dagebüller Land‹; gemeint war damit die Hallig Dagebüll mit der ursprünglichen Bezeichnung Westermarsch, die um 1626 etwa 448 ha groß war (Der Chronist Heimreich verwendet für die Hallig den Begriff »Dagebüll oder Westermarsch«). Die ›Gemeinde Dagebüll‹ gab es noch nicht. Mehrfach versuchte man ab dem Ende des 16. und im 17. Jahrhundert die Dagebüller Bucht vollständig einzudeichen. Aufgrund der unterschiedlichen Wattströmungen blieb der Erfolg allerdings noch aus. Immer wieder kam es zu Überschwemmungen und schweren Landverlusten. Nach einer Schadensflut im Jahre 1573, die von den Chronisten nur wenig oder gar nicht beachtet wurde, vereinbarten »der Bevollmächtigte (Handlungsbevollmächtigter) des ›Störtewerker Koogs‹ und die Bewohner der Halligen Bollhusen und Waygaard 1574 einen neuen, vorverlegten Deich über Waygaard und die Bollhuser Au bis an den Ockholmer Deich zu errichten« (Hardt, 1992, Seite 134). Eine Entschädigung wurde denjenigen zugesprochen, die nicht in den Schutz des Vordeiches kommen würden. Erst 1577 konnten die Arbeiter und Anwohner mit Erleichterung nicht nur auf den fertigen Deich blicken, sondern auch auf ein nördlich der Soholmer Au hinzugewonnenes Land, das den Namen ›Waygaarder Koog‹ erhielt. Auch gelang es im Jahre 1633, das ›Bottschlotter Tief‹ nach mehreren Fehlschlägen durch eine künstliche Landbrücke nach Fahretoft zu schließen. Fahretoft war jetzt mit dem Festland verbunden und verlor somit den Charakter einer Hallig.

Thema Dagebüll: Stürmische Nordsee am 8. September 2018 im Dagebüller HafenEin Jahr später, im Jahre 1634, musste die Hallig Dagebüll, die nur unzureichend durch einen Sommerdeich geschützt war, während der großen Buchardiflut mit großen Landverlusten fertig werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil die nahe gelegene Hallig ›Vredesham‹ vollständig in den Fluten versank. Erst im Jahre 1700 erhielten die Einwohner der Westermarsch (Dagebüll) bestimmte Rechte und somit die Genehmigung, einen festen Deich zu errichten, der dann auch in den Jahren 1702 und 1703 fertiggestellt wurde. Der Dagebüller Koog erhielt etwa 502 Hektar Land, das mit der Eindeichung gegenüber der alten Hallig in Richtung Osten verlagert wurde. Mit dem 1704 errichteten Damm wurde der Dagebüller Koog mit dem Vorland des alten Christian-Albrecht-Koogs verbunden. Insbesondere aufgrund der Erfahrungen, die die Burchardiflut von 1634 mit sich brachte, wurden in den Folgejahren die Anstrengungen hinsichtlich der Bedeichung der Dagebüller Bucht verstärkt. Sedimentzufuhr, Landgewinnungsmaßnahmen und abschnittsweise Eindeichung führten zu einer zunehmenden Verlandung im inneren der Bucht bis um das Jahr 1800 herum große Teile der Bucht verlandet werden konnten.

Die eigentliche Gemeinde Dagebüll wurde erst 1978 durch die Zusammenlegung der bis dahin selbstständigen Gemeinden ›Juliane-Marien-Koog‹, ›Fahretoft‹, ›Waygaard‹ und ›Dagebüll‹ neu gebildet. Sie ist landschaftlich geprägt und hat eine Fläche von ca. 3600 ha mit etwa 900 Einwohnern.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturverzeichnis

Abbildung

Bottschlotter See

Aus der Eindeichung eines ehemaligen Priels entstand der Bottschlotter See

Bottschlotter SeeIm Jahre 1633 wurde der ›Bottschlotter See‹ eingedeicht. Der Bottschlotter Koog entstand. Durch diese Eindeichung konnte man den Rest eines Priels (als Priel bezeichnet man einen natürlichen Wasserlauf in der Marsch, im Watt oder in den Küstenüberflutungsmooren) von der Nordsee trennen, so dass ein Natursee entstanden ist. Zu den ufernahen Orten gehören Fahretoft und ist nur wenige Meter entfernte Waygaard. Sowohl Fahretoft wie auch Waygaard sind Ortteile der Gemeinde Dagebüll, in Nordfriesland.

Der Bottschlotter See ist ein Natursee, der auf der einen Seite als Wasser-Speicherbecken beziehungsweise zur Entwässerung der umliegenden landwirtschaftlich genutzten Flächen, aber auch als Angelgewässer für Vereine und Angler Verwendung findet. Seine Größe beträgt etwa 56,4 ha oder 564000 m². Das oberirdische Einzugsgebiet ist in etwa siebzig mal größer als die eigentliche Seefläche, nämlich fast 40 km². Die maximale Tiefe wird mit 1,6 m, die durchschnittlichen Tiefe mit 1,1 m angegeben. Die Uferlänge beträgt wenig mehr als vier Kilometer. Der See gehört zur Flussgebietseinheit Eider. Eigentümer des Sees ist der Deich- und Hauptsielverband Südwesthörn-Bongsiel. Da der See als FFH-Schutzgebiet (Flora-Fauna-Habitat) ausgewiesen ist, erlaubt der Eigentümer dessen Zugang für Wassersportler und Angler nur in der Zeit vom 1. Mai bis zum 30. September. Voraussetzung ist allerdings ein einzuhaltender Abstand zum Schilfgürtel.

Angelfreunde, die dort gerne angeln möchten, erhalten eine Anglererlaubnis beim Eigentümer. Aktuell sind im Fahretofter Natursee folgende zehn Fischarten zu finden: Aal, Barsch, Brasse, Graskarpfen, Hecht, Karpfen, Rotauge, Rotfeder, Schleie, Zander.

© Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturverzeichnis

Abbildung